Am Montag stand ich mit Jens an der Kreuzung am Rotebühlplatz und musste beobachten, wie der NPD-Wagen – abgeschirmt durch die Polizei – in Richtung Veranstaltungsort fuhr. Eigentlich dachte ich, dass damit mein Protest für diesen Tag beendet war – ich hatte noch andere Termine und war zudem zu einem späten Frühstück verabredet. Doch die Polizisten, die mich und etwa 70 weitere Nazigegner und Passanten eingekesselt hatten, dachten nicht daran, uns gehen zu lassen. Nach etwa einer Stunde wurden wir nach und nach aus dem Kessel geführt, mit Kabelbindern gefesselt und schlussendlich in Kellerzellen gesteckt. Uns wurde kein Grund für dieses erschreckende Vorgehen genannt.
Ich sagte verschiedenen Polizisten immer wieder, dass ich mich beschweren und Widerspruch gegen diese Freiheitsberaubung einlegen wolle. Und immer wieder wurde ich auf den Sachbearbeiter verwiesen, dem ich das gleich erzählen könne. Während wir zuletzt auf der Wasenwache die Stufen zu den Kellerzellen herunter gehen mussten insistierte ich nochmals darauf, Widerspruch einzulegen. Und wieder beantwortete der Beamte mein Anliegen mit den Worten: „Das können sie beim Sachbearbeiter machen.“ Dann fügte er hinzu: „Nur ist es noch nicht klar, wer heute der Sachbearbeiter überhaupt sein wird.“ Nach über drei Stunden wurden wir wieder frei gelassen. Bei anderen dauerte die Freiheitsberaubung über fünf Stunden. Man sagte uns, dass uns der Grund, warum wir festgenommen wurden noch per Post geschickt würde.
Das erzählte ich am Mittwoch auf einer Podiumsveranstaltung der Plattform 21, bei der ich gemeinsam mit Jens Loewe, Hannes Rockenbauch und Thomas Renkenberger zum Thema „Mehr direkte Demokratie wagen“ diskutierte. Uli Scheuffele hat aufgrund meines Berichts einen offenen Brief an IM Gall geschrieben, den ich auch hier gerne veröffentliche:
Sehr geehrter Herr Innenminister Gall, mein Großvater verlor mit 39Jahren sein Leben. Der Grund, er war ein Gegner des Naziregimes. Meine Mutter und ihre 2Geschwister wuchsen daraufhin als Vollwaisen und Kinder eines Staatsfeindes auf. Dies hat mit dazu geführt, dass ich schon seit frühester Jugend Pazifist bin und mich politisch in der Partei eingebracht habe, die auch sehr stark unter diesem Verbrecherregime gelitten hat, der SPD, in der ich 40Jahre Mitglied war und Funktionen wie Ortsvereinsvorsitzender, Stadtrat und Wahlkampfleiter inne hatte. Ich baute eine starke Jusogruppe auf und wurde von Willy Brandt für meine Mitgliederarbeit persönlich geehrt. Ich war nie ein Mitläufer in der SPD sondern habe mich zu Wort gemeldet, wenn ich mit Entwicklungen in der SPD nicht einverstanden war. Dies hat dazu geführt, dass ich ohne Parteiordnungsverfahren von Wolfgang Stehmer und Claus Schmiedel aus der Partei entfernt wurde. Beschwerdeschreiben an den damaligen PV Müntefering wurden nicht beantwortet. Am vergangenen Montag war ein Naziaufmarsch in Stuttgart und viele Bürger, die diese braune Brut nicht wollen, haben sich dem entgegengestellt. Eine Bekannte von mir war auch dabei. Es ist Ihnen bekannt, was passiert ist, Einkesselung der Gegendemonstranten durch die Polizei u.s.w. Meine Bekannte war auch in diesem Kessel und musste in sengender Hitze mit vielen anderen lange Zeit aushalten. Dann wurde sie aus dem Kessel geführt, mit Kabelbinder wie ein Schwerverbrecher gefesselt und nach Cannstatt gebracht, wo sie in eine Zelle gesperrt wurde. So erging es noch vielen Anderen Gegendemonstranten. Die NPD hat sich daraufhin auf ihrer Website bei der Polizei mit folgenden Worten bedankt: „Wir bedanken uns an dieser Stelle bei der Stuttgarter Polizei für eine faire Behandlung, das konsequente Säubern der Stadtmitte und die damit verbundene Sicherstellung der Meinungsfreiheit für uns Nationaldemokraten.“ Lieber Herr Gall, ich kann Ihnen nur sagen, dass ich entsetzt bin und dass ich mich als Sozialdemokrat (ohne Parteibuch) schäme, dass in einem von den Sozialdemokraten mitregierten Bundesland, so etwas möglich ist. Ich möchte sie nicht fragen, ob sie als Innenminister auf dem richtigen Posten sind, aber ich möchte sie fragen, ob sie mit ihrer inneren Haltung in der richtigen Partei sind. Auf jeden Fall werden durch solche Aktionen das Ansehen und das Gedenken an die Menschen und es waren nicht wenige Sozialdemokraten beschmutz, die sich mit ihrem Leben gegen eine Menschenverachtende Ideologie eingesetzt haben. Und Sie machen noch für die geistigen Enkel dieser Henkersknechte den Stadtsäuberer. Dieser Brief ist öffentlich und wird in verschiedenen Foren veröffentlicht.
5. August 2012 at 22:25
tja spd: aussen rot u innen braun..!
10. Juni 2013 at 00:55
Es ist einfach erschreckend wie weit verbreitet das braune Gedankengut in unserer Gesellschaft, Wirtschaft und Politik verankert ist. Es wurden nach Ende des zweiten Weltkrieges zu schnell „Persilscheine“ ausgeteilt. Das selbe geschah nach der Wiedervereinigung auch! Das braune Pack war nie wirklich weg. Mir wird schlecht wenn ich mit Menschen in meinem Umfeld rede und merke,wie sich die Leute von Parolen und der deutschen Volkstümelei vereinnahmen lassen. Heute wie damals sind schnell Schuldige ausgemacht und werden verunglimpft. Die Polizei ist so durchwandert von dem Gedankengut dass Mensch manchmal nur noch sagen will „bitte erschiess mich aber mach mir keine Schmerzen mehr“.